StreitgesprächWarum ist die Schmerzversorgung in Österreich nicht so gut, wie sie sein könnte? Wir haben nachgefragt. Und
erstaunlich offene, aber auch schmerzliche
Antworten von Topmedizinern erhalten.
Text: Didi Hubmann, Foto: Jürgen Fuchs
In aller Leidenschaft im Gespräch: Die Präsidentin der österreichischen Schmerzgesellschaft, Gabriele Grögl-Aringer, Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres und Schmerzmediziner und Therapie-Vorreiter Rudolf Likar nehmen sich im Gespräch kein Blatt vor den Mund – das Thema Schmerz emotionalisiert, weil viele Reformen verzögert werden. Leidtragende sind die Patienten.
Spricht man mit Schmerzpatienten, hört man immer wieder eine Antwort: Der Leidensweg sei extrem lang und aufreibend. Es braucht eine Vielzahl von Ärzten und Diagnosen, bis einem geholfen wird. Wo sind die größten Problemzonen in der Schmerzversorgung?
GABRIELE GRÖGL-ARINGER: Die Patienten, die einen langen Leidensweg haben: Das sind 1,5 Millionen chronische Schmerzpatienten. Wie kommt es dazu? Wir sind nach wie vor ein Land, wo wir keine Schmerzausbildung im universitären Bereich haben. Unsere jungen Ärzte kommen aus der Uni, haben aber keine Ahnung, wie Schmerzpatienten versorgt werden müssen. Die postpromotionelle Ausbildung ist auch nicht verpflichtend.
THOMAS SZEKERES: Ich glaube nicht, dass man das so generalisieren kann. Ganz viele Patienten werden bei ihren Hausärzten adäquat therapiert. Ja, es gibt immer wieder schwierige Fälle. Da ist es notwendig, die Patienten durch das System zu geleiten, und das funktioniert nicht immer so, wie es sollte. So, wie es auch nicht immer einfach ist, Ursachen für Schmerzen zu finden.
GABRIELE GRÖGL-ARINGER: Die Patienten, die einen langen Leidensweg haben: Das sind 1,5 Millionen chronische Schmerzpatienten. Wie kommt es dazu? Wir sind nach wie vor ein Land, wo wir keine Schmerzausbildung im universitären Bereich haben. Unsere jungen Ärzte kommen aus der Uni, haben aber keine Ahnung, wie Schmerzpatienten versorgt werden müssen. Die postpromotionelle Ausbildung ist auch nicht verpflichtend.
Das heißt, wir sind ein Schmerz-Entwicklungsland.
GRÖGL: Wir bräuchten längst ein System, in dem Patientenwege klar definiert sind. Niedergelassener Bereich, Schmerzambulanzen, Schmerzkliniken. Und wenn der Allgemeinmediziner sagt, er braucht einen Orthopäden, einen Neurologen etc., dann muss gewährleistet sein, dass der Patient innerhalb eines kurzen Zeitraums und nicht erst Monate später einen Termin bekommt. Das ganze System ist ein unheimliches Kuddelmuddel.
LIKAR: Im Endeffekt haben wir, was die Qualität der Schmerzversorgung betrifft, in Österreich seit Jahren versagt. Es hat sich an den 20 Prozent chronischen Schmerzpatienten nichts geändert. Klar werden Patienten behandelt – aber es bleiben 300.000 übrig, die eine spezielle Versorgung bräuchten. Und da haben wir kein flächendeckendes System in Österreich. Es geht um die Qualität in der Ausbildung und man braucht in jedem Bundesland eine große Schmerzklinik. Der zweite Punkt, bei dem wir versagt haben, ist, in die Prävention zu investieren. Sport, Bewegung, ich kann nie genug vorbeugen.
GRÖGL: Egal, ob im Spital oder im niedergelassenen Bereich: Qualität muss gewährleistet sein. Wir brauchen Qualitätskriterien, die überprüft werden. Wenn wir Konzepte wie die multimodale Schmerztherapie von Rudi Likar in ganz Österreich umsetzten, hätten wir weniger Krankenstände, weniger Frühpensionen, weniger Operationen. Da könnten wir Geld sparen und in die Schmerzversorgung investieren.
SZEKERES: Mir geht es nicht um die Kosten: In einem reichen Land wie Österreich muss man es sich leisten können, die Menschen adäquat zu behandeln. Die Politik muss das Leid der Patienten primär im Fokus haben, aber nicht die Kosten.
GRÖGL: Das sind super Schlagwörter, das funktioniert nur seit Jahren alles nicht.
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keyboard_arrow_rightDarf ich kurz vermitteln? In Kärnten hat man gesehen, was zum Wohle der Patienten möglich ist, wenn man zumindest einen Teil der Zahler an einen Tisch bringt und eine multimodale Therapie aufsetzt, bei der Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen, Psychologen und Physiotherapeuten zusammenarbeiten. Woanders ist das nicht lebbar, weil die Sozialversicherungen auf ihre Budgets, aber nie auf das große Ganze schauen. Ist das nicht traurig?
SZEKERES: Im Prinzip sollte es ein gemeinsames Ziel geben: finanzieren und dort behandeln, wo es für den Patienten am wirkungsvollsten ist. Und die Kosten sind zu bezahlen. Aber das Gesundheitssystem ist der einzige Bereich, wo die Ausgaben an das Wirtschaftswachstum gekoppelt sind. Bei Tunnelbauten lasse ich mir das ja noch einreden. Aber das ist nicht lebenswichtig im Gegensatz zur Gesundheit. Diese Finanzierung hat die vergangene Regierung gemacht und die neue hat sie nicht beendet.
LIKAR: Wir sind nicht einmal so weit, dass wir Strukturen, die es gibt, verändern. Ich weiß, dass bei den Kuranstalten eine große Industrie dahintersteckt. Aber für die Schmerztherapie sind sie meistens ineffizient. Einige ändern das, aber das ist zu wenig.
Welche Zahler aus dem Gesundheitssystem sind bei der multimodalen Schmerztherapie, wie sie am LKH Klagenfurt praktiziert wird, an Bord?
LIKAR: Einige. Aber die Pensionsversicherung will bei unserer multimodalen Schmerztherapie nicht mitzahlen.
SZEKERES: Das ist ja alles kein Zustand!
Wer zahlt dann die multimodale Schmerztherapie in Kärnten?
LIKAR: Land, Gesundheitsfonds und GKK. Die Pensionsversicherung nicht. Weil sie wissen: Wenn das in Kärnten finanziert wird, dann müssen sie in jedem Bundesland etwas machen. Der finanzielle Vorteil unseres Therapiekonzepts ist ja längst bewiesen. Unser Projekt wurde ein Jahr wissenschaftlich begleitet und wir konnten zeigen, dass wir tagesklinisch helfen und volkswirtschaftlich gut abschneiden. Weniger Medikamente, Patienten werden wieder in den Arbeitsprozess eingegliedert. Diese tagesklinischen Konzepte gehören in jedes Bundesland – in der Form stehen wir in Kärnten immer noch alleine da, obwohl wir seit 2012 darüber sprechen.
Wie schon gesagt: Daran lässt sich sehr schön die Absurdität unseres Gesundheitssystems ablesen: Jede Sozialversicherung etc. ist zufrieden, wenn sich die Kosten nicht auf ihre Budgets durchschlagen. Man spart sich ja etwas, wenn die anderen zahlen.
SZEKERES: Deshalb brauchen wir eine Reform des ganzen Gesundheitswesens. Und das passiert nicht.
GRÖGL: Diese Diskussionen höre ich seit Jahren. Es geht einfach um das Leid der Patienten, dafür sind wir ja Ärzte geworden. Es ist uns ein Bedürfnis zu helfen, sonst würden wir nicht so ein Engagement zeigen. Wenn die Schmerzversorgung nicht politisch und gesetzesmäßig geregelt wird – sogar Italien ist uns da voraus –, reden wir in 30 Jahren noch immer gleich herum. Es ist beschämend, wie hier seit Jahren argumentiert wird – und nichts passiert.
SZEKERES: Die Kritik kann ich gut nachvollziehen. Es ist eine Scheinreparatur des Gesundheitssystems, was im Moment passiert – aber keine Gesundheitsreform.
Schmerz ist zu kompliziert. Deshalb funktioniert das System nicht.Rudolf Likar
Es ist beschämend, wie seit Jahren argumentiert wird. Gabriele Grögl-Aringer
Das ist ja alles kein Zustand!Thomas Szekeres
Was sagt die Politik?
GRÖGL: Ich habe zuletzt mit der Ministerin gesprochen, es war ein amikales Gespräch: Es ist aber nichts herausgekommen. Und um unsere Probleme zu unterstreichen: Ich habe diese Woche aus unserer Ambulanz in Wien einen Patienten zu Professor Likar nach Kärnten geschickt, weil ich ihm hier nicht die Therapie anbieten kann, die Likar einsetzt. Wir haben das einfach nicht. Beschämend!
LIKAR: Der Schmerzpatient hat eben keine Lobby.
GRÖGL: In Vorarlberg gibt es keine einzige Schmerzambulanz, eine Patientin hat jetzt eine Petition in die Wege geleitet. Das ist genauso beschämend, dass Patienten aus einem Bundesland solche Missstände aufzeigen müssen.
Gibt es finanzielle Restriktionen bei der Behandlung von Patienten?
GRÖGL: Wir haben immer wieder die Situation bei Tumorpatienten: Es geht um Medikamente, damit sie schmerzarm und schmerzfrei leben können – und damit um Lebensqualität. Wenn wir Medikamente für diese Gruppe nicht mehr bekommen, dann ist das ethisch nicht mehr vertretbar. In manchen Bundesländern werden diese Medikamente nur chefärztlich erlaubt. Dass wir Patienten grundsätzlich nicht so helfen können, wie wir wollen: Das ist belastend und sehr frustrierend.
Wie gehen Sie damit um?
LIKAR: Schmerzpatienten stammen oft aus schwierigen Verhältnissen, Arbeitslose zum Beispiel – da geht die Spirale immer weiter runter. Das ist verheerend.
SZEKERES: Ja, wir glauben, bei uns gibt es so etwas nicht: 18 Prozent der Österreicher sind armutsgefährdet. Alleinerziehende Frauen oder Menschen, die in die Altersarmut schlittern. Diese Menschen sind angewiesen auf ein funktionierendes Sozialversicherungssystem.
LIKAR: Wir brauchen dringend ein österreichweites Angebot von Schmerzkliniken. Und diese Kliniken müssen auch eine verbesserte Ausbildung haben, daran scheitern wir derzeit noch. Wir haben ja auch keine festgelegten Behandlungspfade, deshalb ist es für die chronischen Schmerzpatienten oft so schwierig, Hilfe zu bekommen.
Die Medikamentenpreise sorgen immer wieder für Diskussionen, auch in der Schmerzmedizin.
SZEKERES: Medikamentenpreise sind hoch, so lange Patente bestehen.
LIKAR: Wenn wir die herkömmlichen Schmerzmedikamente und nicht die Spezialpräparate betrachten, dann liegen wir in der Schmerztherapie am unteren Level. Ein anderes Problem haben wir mit Cannabidiol (CBD), da hängen wir bei der Versorgung für die Patienten europaweit stark nach. Bei uns ist CBD ein Nahrungsergänzungsmittel, kein Arzneimittelstoff, obwohl es in Deutschland so zugelassen ist. Da machen andere ein Geschäft daraus.
SZEKERES: Der Oberste Sanitätsrat sagt in Österreich: Da besteht kein Handlungsbedarf.
LIKAR: Ja, weil dieses Gremium keine Patienten behandelt.
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keyboard_arrow_rightWarum funktionieren die Vernetzung und die Zusammenarbeit unter den niedergelassenen Ärzten, den Spitälern etc. oft nicht?
GRÖGL: Das ist auch ein organisatorisches Problem, das muss man in Gemeinden etc. klar regeln. Aber wir haben auch immer weniger niedergelassene Ärzte, etwa am Land – und die sind dann überlastet. Und das Ganze müsste erst finanziert und bezahlt werden. Allgemeinmediziner geben oft zu, sie weisen den Ambulanzen keine Patienten zu, weil dort nichts anderes verschrieben wird, als sie ohnehin selbst verschreiben. Dort brauchen wir also ein anderes Setting – und Qualität. Ich verstehe ja grundsätzlich nicht, dass wir nicht ein anderes, ambitionierteres Qualitätsdenken haben. Wir sind ein tolles Land, wir wollen auch in der Schmerzmedizin top sein. Aber irgendwie geht gerade alles den Bach runter.
SZEKERES: Ich sehe das noch nicht so dramatisch, aber es gibt Punkte mit Verbesserungsbedarf.
Was kann man tun, damit jetzt nicht alles den Bach hinuntergeht?
GRÖGL: Permanent auf die Problematiken hinweisen. Aufmerksam machen. Lästig sein und aufzeigen, wie schlecht die schmerzmedizinische Versorgung und Ausbildung im Vergleich zu anderen Ländern ist. Das Wort schlecht ist hier tatsächlich treffend.
Verstehen die zuständigen Stellen nicht, was in der Schmerzmedizin vorgeht – und was Sie verändern wollen?
GRÖGL: Ich habe in den Gesprächen immer das Gefühl, dass man weiß, wo die Bedürfnisse wären, aber es tut sich nichts. Unterm Strich ändert sich gar nichts. Das spielen wir seit vielen Jahren. Irgendwann wird es so sein, dass auch die jungen Ärzte kein Interesse haben, und es wird uns als Schmerzgesellschaft nicht mehr geben. Wenn man permanent die Rückmeldung bekommt, dass wurscht ist, was man macht – warum soll man sich noch engagieren?
SZEKERES: Ganz so schlimm sehe ich es nicht. Es ist in einigen Bereichen zu Verbesserungen in der Ausbildung gekommen, wir müssen aber wachsam sein.
LIKAR: Bei uns in Kärnten passt es, in Österreich passt es nicht. Nochmals: Wir sollten in die Prävention investieren. Und ich hoffe, dass wir eine bessere Ausbildung in der Schmerzmedizin durchsetzen. Dann hätten wir wieder einen Meilenstein gemacht.
Wie kann man die Politik bewegen, etwas zu verändern?
SZEKERES: Ein Ansatz kann nur die Finanzierung aus einem Topf sein.
GRÖGL: Es wird sich nur etwas ändern, wenn wir einen nationalen und gesetzlich festgesetzten Versorgungsauftrag bekommen – und zwar für alle medizinischen Bereiche durchstrukturiert. Wenn wir das nicht schaffen, bin ich eher pessimistisch.
LIKAR: Nachdem ich schon bei vielen Gesundheitsministern war, würde ich provokant behaupten: Der Schmerz ist zu kompliziert, damit es funktioniert. Beim Schmerzkonzept ist überhaupt nichts umgesetzt worden. Mit dem Schmerz kann man verdienen, deshalb gibt es auch keine Einigkeit, da zu viele Fachdisziplinen involviert sind.
Schmerzdiskussion: Kammerpräsident Thomas Szekeres, Schmerzpräsidentin
Gabriele Grögl-Aringer, Schmerzexperte Rudolf
Likar mit Magazinchef
Didi Hubmann
Gesundheitsreform.Die Mediziner und Ärztevertreter Petra Preiß und Herwig Lindner über Strukturprobleme bei der Behandlung chronisch Kranker, falsche Erwartungen und die allgemeine Bunker-Mentalität.
Der Patient will endlich von seinen Schmerzen befreit werden, etwas anderes interessiert ihn zu Recht nicht. Danach müssen wir das System ausrichten“, stellt Herwig Lindner, der Vizepräsident der österreichischen Ärztekammer, gleich klar. Es gebe zu viele Insellösungen, aber keinen nationalen Plan in der Schmerzversorgung. „Die Schmerzbehandlung muss endlich über die Bundesländergrenzen hin geregelt werden“, fordert Lindner und hier hakt auch Petra Preiß, Präsidentin der Ärztekammer Kärnten, ein: „Es geht nicht, dass man in einem Bundesland eine Top-Betreuung hat und im anderen nicht. Rudolf Likar hat bei uns die Zugänge zu dem Thema völlig geändert. Aber ich habe keine Illusion, dass das ohne ihn nicht passiert wäre.“
Sowohl Lindner wie auch Preiß betonen, dass grundsätzlich Probleme bei der Behandlung von Patienten mit chronischen Erkrankungen bestünden – und sie sprechen die strukturellen Probleme in der österreichischen Gesundheitsversorgung offen an. „Weil alles in der Behandlung sehr kleinteilig aufgesetzt ist. Das sagen auch internationale Experten“, analysiert Lindner und führt weiter aus: „Die wohnortnahe Versorgung ist wichtig, man kann aber durch die geplanten Primärversorgungszentren keineswegs die großen Strukturprobleme lösen, die wir haben.“
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keyboard_arrow_rightPreiß sieht auch keine Verbesserung durch die große Krankenkassenreform, die von der Bundesregierung gerade aufgesetzt wurde. „Das, was wir auf dem Tisch liegen haben, lässt solche Schlüsse derzeit nicht zu. Da ist ganz viel Unsinn dabei, auch falsche Erwartungen sind da – jeder Experte, mit dem man spricht, bleibt skeptisch. Diese Milliarde, die angeblich eingespart werden soll, ist so nicht im System. Selbst der österreichische Rechnungshof sagt, das sei nicht darstellbar.“ Die Kernfrage für Preiß, die genauso für den Schmerzpatienten gilt, lautet: „Erhält jeder Patient durch die Kassenreform überall in Österreich das Gleiche? Nach dem jetzigen Stand ist das nicht der Fall.“
Lindner und Preiß plädieren für ein neues Gesprächsklima, um das zu ändern: „Ich würde mir wünschen, dass alle aus dem Bunker rauskommen und versuchen, Ansätze zu finden, die nicht ausschließlich der eigenen Klientel dienen. Das ist eine Aussage, die von einer Standesvertreterin unglaubwürdig klingen mag, aber anders ist es nicht machbar“, sagt Preiß. Nachsatz: „Wir sind heute deshalb dort, wo wir sind, weil jeder in seinem Bunker sitzt.“
Didi Hubmann